Günter Mayer

Leben ohne Angst zu haben (Vortrag)

Posted in Quellenangaben, ungedruckte Texte by guentermayer on 5. Februar 2009

Leben ohne Angst zu haben. Über das politische Selbstverständnis Hanns Eislers in Leben und Werk, Eingangsreferat für das Colloquium Hanns Eisler – Homo politicus, 27. bis 29. Februar 2009 in Wien, Typoskript 22 Seiten.

Günter Mayer, Februar 2009

Wenn man mich […] als „politischen Musiker“ bezeichnet, so ist das
ein Ehrenname für mich. Ich versuche mit den Mitteln der Musik
etwas politische Intelligenz in den Menschen hineinzubringen.
(Eisler, Oktober 1961)

Leben ohne Angst zu haben

Über das politische Selbstverständnis Hanns Eislers in Leben und Werk

1. Wer sich heutzutage mit dem politischen Selbstverständnis Hanns Eislers beschäftigt, weiß mehr als er. Und muss darauf bedacht sein, seine vielen diesbezüglichen verbalen und musikalischen Äußerungen zunächst in der jeweiligen politischen Realität, in ihren wechselnden historischen Widerspruchssituationen zu de- und rekonstruieren und sich davor hüten, Werturteile zu fällen, die sich auf inzwischen erreichbare Dokumente und Analysen gründen, die Eisler in seiner Lebens- und Wirkungszeit nicht haben konnte. Nicht nur gab es damals große Differenzen, ja scharfe Gegensätze im politischen Selbstverständnis der Zeitgenossen, im engeren Sinne der Genossen der Zeit. Solche Differenzen und Gegensätze gibt es auch in den gegenwärtigen Urteilen über die historischen Widerspruchssituationen in der Vergangenheit. In deren Zentrum stand und steht die Frage nach Möglichkeiten, Wirklichkeiten und Perspektiven des Sozialismus/Kommunismus.

2. Wenn also nach dem Stellenwert von Politik im Selbstverständnis Eislers gefragt wird, dann geht es vor allem um sozialistische Politik. Eisler war deren Subjekt und Objekt in Gestalt der KPD, der „Komintern“, der Volksfrontpolitik, der Stalin’schen Sowjetunion, der auch in Ostdeutschland versuchten Transformation zu einem „realen“ Sozialismus. Diese sozialistische Politik hatte sich entwickelt in scharfer Abgrenzung von und Auseinandersetzung mit der konservativen Politik der bürgerlichen Kräfte, der „nationalsozialistischen“ Politik der Hitler-Faschisten, der im „Kalten Krieg“ in den USA und in Westdeutschland herrschenden anti-kommunistischen Politik. Als bewusstes, international bekanntes, für Sozialismus und gegen die reaktionäre Politik orientiertes politisches Subjekt wurde Eisler auch Objekt dieser Politik: von den Nazis ins Exil getrieben, durch das „Commitee on Unamerican Activities“ bedroht, in der BRD als Komponist der „Spalterhymne“ diffamiert.

3. Eislers Politikbegriff, sein Begriff der politischen Intelligenz war nicht identisch mit der jeweiligen Politik, den Beschlüssen, der „Linie“ der KPD bzw. der KPdSU oder der SED. Er war nicht Mitglied dieser Parteien, deren Parteidisziplin nicht unterworfen. Fast alle Partner seiner politischen Aktivitäten nannten ihn dennoch „Genosse Eisler“. Das war auch so bei Brecht. Die prinzipielle Übereinstimmung mit der generellen Orientierung dieser Parteien auf eine historische Alternative zur kapitalistisch formierten Gesellschaft schloss Kritik an der Parteipolitik in bestimmten zugespitzten Situationen bzw. partielle Kritik in der Einschätzung des erreichten Niveaus der Gesellschaft, der Künste etc. nicht aus bzw. die durch das marxistisch fundierte Geschichtsverständnis und durch das jeweilige politische Kräfteverhältnis konflikthaft erzwungene, sich selbst auferlegte und erlebte Verdrängung ein. Brecht nannte das den Widerspruch zwischen „Anspruchsfülle und Selbstaufopferung“. (Brecht 1955)

4. Eisler begriff sich als Marxist. Er war philosophisch gut gebildet, hatte ein großes Wissen von der Geschichte, kannte die seinerzeit erreichbaren Hauptwerke der „Klassiker“ und informierte sich über die jeweilige Politik der Parteien und deren innerparteiliche Auseinandersetzungen. Für ihn war Marxismus keine Sammlung von Lehrsätzen, nicht das zum dogmatischen Marxismus-Leninismus, zur Rechtfertigungsideologie der Parteipolitik erstarrte Erbe von Marx und Engels, sondern eine Methode geschichts-materialistischen, dialektischen, d.h. kritischen Denkens in Richtung auf die allseitige menschliche Emanzipation, die jeweils realistische Sicht auf die Entwicklungswidersprüche aus einer Perspektive der arbeitenden Massen, gewissermaßen von „unten“ her. Es sei erinnert an seine wiederholte Kritik vulgärmaterialistischen Soziologisierens, flachen deterministischen Denkens, leerer Phrasendrescherei. Oder an seine Kritik an der hoch differenzierten „pessimistischen Utopie“ der Vertreter der Frankfurter Schule, die er schon 1932 formuliert (Eisler 2007, 170) und auch später, im April 1958 Bunge gegenüber geäußert hat: Diesem „Halbmarxismus“ fehle die „echte Polemik und der echte Kampf“ […] Man kann eben nicht Marxist sein ohne Politik. Das ist eine der großen Weisheiten, die heute eigentlich jeder zu Ende denken müsste“ (Eisler 1975, 40). Und umgekehrt: Für ihn hatte Politik nur Sinn, wenn sie marxistisch fundiert war. Wie Brecht schätzte er Lenin als Philosophen, als klugen Politiker nicht nur eingreifenden Denkens, sondern zugleich eingreifenden politischen Handelns.

5. Lebenslang war sein Denken und Handeln bestimmt von seiner prinzipiellen Parteinahme für die Sowjetunion. Und: Die internationale Realität der politischen Widerspruchsbewegung war für ihn zudem verschränkt mit den familiären politischen Konflikterfahrungen seiner Schwester Ruth und seines Bruders Gerhart.
Ich möchte mich im Folgenden auf Eislers Haltung gegenüber der Sowjetunion konzentrieren, lasse also aus Zeitgründen die politischen Konflikte Eislers mit den antikommunistischen Kräften in den USA 1947/48 beiseite, und – weil Jürgen Schebera darüber sprechen wird – auch den Problemkomplex um 1953/54 beiseite, d.h. den auch für Gerhart Eisler/geplanten Schauprozess in Ostberlin/ Faustus-Debatte/ 17. Juni/Aufenthalt in Wien/Brief an das ZK der SED.

5. 1. Sehr früh sah Hanns Eisler in der Oktoberrevolution ein Ereignis von welthistorischer Bedeutung. Wie er das selbst formuliert hat ist bekannt. Zunächst noch ohne kompositorische Konsequenzen. Er war fasziniert von den großen Umwälzungen in der frühen Sowjetunion, sah darin die beginnende Realisierung der Marx’schen Geschichtsauffassung. Als er 1925 nach Berlin ging, war seine Schwester Ruth, damals in Berlin an der Spitze der KPD durch eine Entscheidung der Komintern und Stalins in eben diesem Jahr wegen linksradikaler Tendenzen von ihrer Führungsposition entfernt und durch Ernst Thälmann ersetzt worden. Sie war nach Moskau bestellt, dort 10 Monate festgehalten und nach ihrer Rückkehr mit ihrem Lebensgefährten Arkadi Maslow 1926 als „Renegatin“ aus der Partei ausgeschlossen worden. Sie blieb Abgeordnete der KPD im Reichstag bis 1928. Sein Bruder Gerhart, ebenfalls Funktionär der KPD (und Kandidat des ZK) wich 1928 mit seiner Kritik an Thälmann von der Parteilinie ab und wurde als „Versöhnler“ ebenfalls nach Moskau zitiert. Nach grundsätzlicher Selbstkritik war er zunächst Anfang 1929 Mitarbeiter im fernöstlichen Büro der Komintern in Moskau, wurde dann bis Januar 1931 zur Bewährung für 2 Jahre nach China delegiert. Im Mai 1933 ging Gerhart im Auftrag der Komintern in die USA. Nota Bene: Im Juni 1933 treffen sich zum ersten Mal seit Jahren die drei Geschwister in Paris. Hanns wohnt mehrere Monate im selben Haus wie Ruth und Arkadi Maslow. Auf der Durchreise in die USA macht Gerhart dort Station. Das war gefährlich. (Fischer/Maslow 1990) [Vorgriff auf Juni 1941: da leben alle drei in New York. Hanns trifft dort sowohl Gerhart als auch Ruth. (Schebera/Deeg 2007, 15)] Schließlich sei daran erinnert, dass Trotzki 1929 aus der UdSSR ausgewiesen worden war, zunächst in Norwegen lebte und dann in Mexiko: publizistisch mit breiter internationaler Wirkung sehr aktiv in der Kritik an der durch Stalin formierten Politik der Sowjetunion.

Eisler erlebte also die innerpolitischen Auseinandersetzungen, d.h. auch die von der Moskauer Zentrale der Komintern beanspruchte und realisierte internationale Führungsautorität aus nächster Nähe. Zudem: Er hatte seit 1927/28 seine kompositorische Praxis mit der Politik der KPD engstens verbunden und diese in Gestalt der „Kampfmusik“ mit beispielloser Wirkung auf die Massen vor allem der Arbeiter unterstützt. Es sei hier nur erinnert an die beiden 1929 entstandenen Massenlieder Komintern und Der heimliche Aufmarsch, mit denen wenigstens er auf der „Linie“ der Komintern war. Und zwar seit dieser Zeit, im Unterschied zu Ruth und Gerhart, dauerhaft mit weltweiter Wirkung.

5. 2. Eisler war von den stürmischen Umwälzungen der beginnenden Industrialisierung und der Kollektivierung der Landwirtschaft tief beeindruckt, die das rückständige, vom Krieg und den Interventionsarmeen verwüstete, noch halbfeudale Land in wenigen Jahren in der Spannweite zwischen Massenenthusiasmus und Massenterror „gewalttätig“ veränderten[1]. Er war 1932 in Magnitogorsk, wurde in Moskau in Abwesenheit in den Vorstand des IMB („Internationales Musikbüro“) gewählt, war im Juni 1935 als politischer Funktionär des IMB in Strasbourg und Reichenberg auf den Arbeiter-Musik-Festen wirksam, von Juni bis August 1935 in Moskau, wurde dort zum Vorsitzenden des IMB gewählt und führte, nach einem Besuch von Brecht in Dänemark, im September 1935 in Prag Einheitsfrontverhandlungen mit der sozialdemokratischen Internationale der Arbeitersänger. Ohne Erfolg. Von Oktober 1935 bis April 1936 lehrte er an der New School for Social Research in New York, war Ende April 1936 beim IGNM-Fest in Barcelona.

5.3. Zwischen August 1936 und März 1938 fanden in Moskau die drei berüchtigten Schauprozesse statt: der erste vom 19.-24. August 1936 gegen das „trotzkistisch-sinowjewistische Zentrum“ (16 Angeklagte, 16 Todesurteile); der zweite vom 23.-30. Januar 1937 gegen das „sowjetfeindliche trotzkistische Zentrum“ (17 Angeklagte, 13 Todesurteile); der dritte vom 2.-13. März 1938 gegen den „antisowjetischen Block der Rechten und Trotzkisten“ (21 Angeklagte, 18 Todesurteile). Das waren nach den vielen Prozessen gegen kriminelle Wirtschaftsverbrecher, Saboteure, unfähige Funktionäre Ende der zwanziger und Anfang der dreißiger Jahre die ersten Prozesse, in welchen herausragende politische Funktionäre, sogar ehemalige Mitstreiter Lenins, angeklagt wurden, in Kooperation mit Trotzki die Sowjetunion und Stalin beseitigen zu wollen. Neu waren die in den Prozessen öffentlich geäußerten Geständnisse (von Sinowjew, Kamenew, Smirnow, Pjatakow, Radek, Bucharin, Rykow, Krestinski), die nicht vorgelegten Indizien ihrer Schuld, die sofort vollstreckten Todesurteile sowie die offizielle, weltweite Veröffentlichung der Prozess-Protokolle in dreizehn Sprachen, sowie die organisierten „Tötungsplebiszite“ der Massen. Der Hauptgegner war Trotzki, der die Stalinsche Politik als „Verrat“ der Revolution publizistisch wirksam angriff (Trotzki 1936; 1937).

5.4. Die ins Exil gezwungenen linken Intellektuellen waren von dem, was sie in der Presse (der eigenen wie der bürgerlichen und faschistischen), in Zeitschriften, in Büchern und persönlichen Begegnungen mit Zeitzeugen erfuhren, tief betroffen: sehr verunsichert. Sie befanden sich in der äußerst schwierigen Situation, angesichts der antisowjetischen Protestwellen für oder gegen Stalin, und das bedeutete für oder gegen die UdSSR Stellung nehmen zu müssen. Einige haben unmittelbar nach dem ersten Schauprozess vom 19.-24. August 1936 öffentlich nicht nur gegen die „Absurdität“ der Anklagen und der Prozessführung Stellung genommen, sondern sich zugleich gegen Stalin und die UdSSR entschieden, so der Chefredakteur der Exilzeitschrift Neues Tage-Buch bereits am 29. August (Schwarzschild 1936). Für diejenigen, die prinzipiell an der Parteinahme für die UdSSR festhielten, war die Grundüberlegung, angesichts der Appeasementpolitik der Westmächte, angesichts des heraufkommenden Krieges, die einzige, zudem noch entwicklungsfähige Kraft gegen den Faschismus nicht zu schwächen. Gegen Stalin sich zu entscheiden und zugleich für die UdSSR war für sie ausgeschlossen. In diesem Sinne hat Hermann Buzislawski bereits am 9. September 1936 in der Exilzeitschrift Die Neue Weltbühne eine vorsichtig kritische, aber prinzipiell solidarische Stellungnahme publiziert: „Die Woche, die seit der Verkündung und Vollstreckung des Urteils verstrichen ist, hat uns nicht genügt, durch die massiven Beschuldigungen und die masochistischen Geständnisse einiger alter Revolutionäre und mehrerer jungen Dunkelmänner hindurchzufinden […] der Prozeß wurde nicht so geführt, dass die politischen Richtungskämpfe, um die es doch auch ging, klar hervortraten […] Die Formen des Moskauer Prozesses sind abzulehnen; der politische Inhalt ist etwas andres. […]“ Man müsse „auch bei unerwünschten Vorkommnissen im Lager der Bundesgenossen die Nerven behalten. Denn die Sowjetunion bleibt auf Gedeih und Verderb mit dem antifaschistischen Europa verbündet, und die Volksfrontpolitik bleibt richtig, muß konsequent fortgesetzt werden“. (Budzislawski 1936) Heinrich Mann publizierte im September 1936, ebenfalls in Die Neue Weltbühne seine Entscheidung gegen die angeblichen Verschwörer und „für Stalin, der einen gegebenen Abschnitt der Revolution mit Recht beherrscht“, […] Die moskauer Prozesse und die Erschießung von 16 alten Revolutionären haben geschadet“ – mit dem Kommentar: „Ich bin mehrmals aufgefordert worden, zu protestieren. Ich kann nur Bedauern äußern.“ (Mann 1936) Es ist mit Sicherheit davon auszugehen, dass Eisler diese Stellungnahme gelesen und auch für sich akzeptiert hat. Seine Parteinahme für Stalin erfolgte, ohne Bezug auf den ersten Schauprozess, im Oktober 1936 in einer Stellungnahme für den seit Juni des Jahres öffentlich diskutierten neuen Verfassungsentwurf der UdSSR, ein dann im Dezember 1936 vom VIII. Sowjetkongress angenommenes Dokument, in welchem der „Sieg des Sozialismus“ festgeschrieben wurde. Eisler verweist auf die riesigen positiven Resultate und schließt mit dem Aufruf, alle Kräfte für die Verteidigung der UdSSR zu mobilisieren. (Eisler 1973, 382)

Der zweite Schauprozess fand statt vom 23.-30. Januar 1937. Auf die heftigen internationalen Reaktionen der bürgerlichen und faschistischen Presse haben die Linken des Exils in ihren Publikationsorganen intensiv reagiert: Die neue Weltbühne veröffentlichte bereits seit Februar erste abwägende Stellungnahmen zum Wahrheitsgehalt der Geständnisse (Eschwege 1937/6), zur Haltlosigkeit, diese durch die Anwendung von Gift, Medikamenten, Hypnose zu erklären. (Bloch 1937/10) Nun kamen auch Zeugen zu Wort: auf dem zweiten Schauprozess war Lion Feuchtwanger anwesend, der sich gerade von Ende November bis Mitte Februar in Moskau aufhielt. Über seine Eindrücke, seine Entscheidung für Stalin, der ihm am 8. Januar ein dreieinhalbstündiges Zusammentreffen gewährt hatte, begann Feuchtwanger sofort nach seiner Rückkehr zu schreiben. Für die literarische Monatsschrift Das Wort, deren Redaktion er mit Brecht und Bredel bildete, veröffentlichte er bereits im März einen kurzen Bericht über den zweiten Moskauer Prozess: dieser zeige „den Unentschiedenen der ganzen Welt, wo mit Sicherheit der Weg derjenigen endet, die mit den Reaktionären liebäugeln. Dieser Prozess zeigt: der Weg nach rechts ist der Weg in den Krieg. […] Er hat eine neue Barriere gegen den Krieg errichtet“. (1937/3, 101) Die neue Weltbühne brachte Auszüge aus seinem Bericht. (1937/26 u.27) In der Zeitschrift wurde auch die Verurteilung der in Moskau im Juni 1937 angeklagten und erschossenen Generäle (der bekannteste war Marschall Tuchatschewski) im wesentlichen gerechtfertigt: als „Verschwörung“ einer „Staatsstreich-Gruppierung“ gegen Stalin (Budzislawski/25). Im Sommer erschien Lion Feuchtwangers Buch Moskau 1937. Schon im Juli druckte Die neue Weltbühne einen dem Buch gewidmeten, zustimmenden Artikel von Ernst Bloch, der damals im Prager Exil lebte. (Bloch 1937/30) Eisler war Mitte/Ende Januar zwei Wochen bei der XI. Internationalen Brigade in Murcia, Südspanien, befand sich dann von Ende Januar bis September 1937 bei und mit Brecht in Dänemark. Es ist mit Sicherheit davon auszugehen, dass beide Feuchtwangers Buch und Blochs Artikel kannten und in diesen Monaten viel über die beunruhigenden Ereignisse gesprochen haben.

Trotzki hatte sich in schärfster Form gegen den politischen Despotismus Stalins (Trotzki 1936) und zu den neuerlichen Säuberungsprozessen umfangreich geäußert: Sein Buch über Stalins Verbrechen war im Sommer 1937 abgeschlossen und erschien in deutscher Übersetzung in Zürich. (Trotzki 1937) Er kam zu dem Schluss, dass Stalins Regime dem Untergang geweiht sei. Ob es durch die kapitalistische Konterrevolution oder durch die Arbeiterdemokratie ersetzt werde, sei noch offen[2].
Auch diese Positionen waren allgemein erreichbar und bekannt. Und: sich aus Empörung über die Schauprozesse mit dem Hauptfeind Stalins zu solidarisieren, sich damit zugleich der faschistischen Hetze gegen die Sowjetunion anzuschließen, war für die marxistisch gebildeten Links-Intellektuellen ausgeschlossen. Interne Kritik ebenso, denn das wäre Abweichung von der Partei-Linie und hätte Boykott, Rufmord, „Exkommunikation“ durch die eigenen Leute bewirkt. Zugleich war für Brecht, Eisler, Bloch, Heinrich Mann und viele andere, die prinzipiell zur UdSSR hielten, die Vorstellung undenkbar, dorthin ins Exil zu gehen. Eine sehr komplizierte Lage.
In der damaligen UdSSR war der Stalin-Kult nicht zu übersehen. Die neue Verfassung wurde die „Stalin’sche“ genannt. Feuchtwanger und andere Besucher, vor ihm schon André Gide (1937), berichteten über dieses Phänomen. Was Brecht damals dachte, geht u. a. aus einem Bericht des Schauspielers Hermann Greid hervor, der im Sommer 1937, aus der UdSSR zurückgekehrt, in Svendborg zu Besuch war. Brecht erkundigte sich nach Carola Neher. Greid berichtet: „Ich wusste nur, dass sie verurteilt worden war und dann verschwand. Da kannte seine Wut auf diesen ^schändlichen und schamlosen Henkersknecht Stalin^ und dieses ^ganze Pack^ um ihn herum keine Grenzen.“ (Greid 1974, 4).
In diesem Kontext wird in der Römischen Kantate, von Eisler im Juni 37 in Svendborg fertiggestellt, eine bisher kaum beachtete semantische Schicht kenntlich. Eisler wählte einen Text von Ignazio Silone. Der hatte 1929 mit der KP gebrochen. Unmittelbar nach dem ersten Schauprozess (August 36) richtete er einen „Offenen Brief“ an die Zeitschrift Das Wort und die emigrierten Schriftsteller in Moskau. Darin heißt es: „Nur mit Sophismen und verächtlichen Wortspielen können Sie leugnen, dass die Prozesse […] keinen Kollektivmord darstellen, der an allen jenen verübt wird, die mit der herrschenden politischen Linie nicht einig gehen“.(Schebera 1998, 150). Im Hinblick auf die Mitte 1937 erreichbaren Informationen und auf das, was wir heute wissen, kann die Römische Kantate auch als „Moskauer Kantate“ gehört werden. Erinnern wir uns: „Die Angst ist zu einer Krankheit geworden […] Warum vernichten sie Tausende? Aus Angst. Mit ihrer Angst wachsen ihre Verbrechen. Mit ihren Verbrechen wächst ihre Angst.[…] Die Luft ist verpestet.“ Das war die Situation in Moskau 1937. (Zu „Angst“ vgl. die diesbezüglichen Äußerungen von Zeitzeugen bei Hedeler 2003, 129ff; Bucharina 1989; Leonhard 1990). Schaun Sie sich die anderen Kantaten an: Die den Mund aufhatten und Nein. Hier dürfte der doppelte Boden ebenso deutlich erkennbar sein. Das Wort hat den Brief Silones angeblich nicht erhalten (Heft 6, Sept. 37, 111).
Es ist sicherlich auch kein Zufall, dass Eisler in dieser Atmosphäre der internen Distanzierung von Stalin die Arbeit an einem Werk wieder aufnahm, die er bereits im Dezember 1935 in New York begonnen hatte und nun am 5. August 1937 in Svendborg beendete: Es war die Kantate auf den Tod Lenins.
Eisler war, wie wir wissen, seit Oktober 1937 in Prag und hat sich dort mit Ernst Bloch gegen die „Moskauer Clique“ an der Expressionismus-Debatte mit Aufsätzen in der Neuen Weltbühne beteiligt. Seine Kammerkantaten nach Texten von Silone sind dort uraufgeführt worden, von Ernst Bloch besprochen.[3]

5.5. Der dritte Schauprozess gegen den „antisowjetischen Block der Rechten und Trotzkisten“ fand statt vom 2.-13. März 1938. Bloch, noch in Prag (er traf erst im Juli 1938 in New York ein) und Eisler, seit dem 21. Januar 1938 in New York, waren offensichtlich darüber informiert. Bloch schrieb für Die neue Weltbühne einen Artikel über „Bucharins Schlußwort“, der am 5.Mai 1938 erschien. Mehrfach aus dem Prozess-Protokoll (872 Seiten) zitierend, verweist Bloch auf Bucharins philosophische Begründung der Geständnisse, der im Zusammenhang mit dem Scheitern der „früheren Besserwisserei“ von einer „doppelten Psychologie“ sprach und dabei auf Hegels Äußerungen über das „unglückliche Bewusstsein“ zurückgriff und den eigenen Tod als Tod für die Sowjetunion rechtfertigte. Bloch benennt die Gefahr, dass nicht zu wenig, sondern zu viel geglaubt wird. Er folgt Bucharin auch darin, dass er kein krimineller Verbrecher sei. Bloch betont: „Sie sind politische Verbrecher und Schädlinge grossen Ausmasses geworden und gestehen dies auch ein.“ (563).
Über Eislers Haltung berichtet Theodor W. Adorno in einem Brief an Walter Benjamin Anfang Mai 1938. Er habe Eisler öfter gesehen, einmal zu einem langen Gespräch: „seine neueste Pose mir gegenüber ist die des alten wettererprobten, materialistischen Politikers, der den jungen, unerfahrenen Idealisten vor den Unbilden der Zeit protegiert und ihm die neuen Einsichten vermittelt, dass auch die Politik mit den Menschen so zu rechnen habe, wie sie nun einmal sind, und dass auch Arbeiter keine Engel seien“. Und dann teilt Adorno mit: „Mit großer Ruhe habe ich mir seine armselige Verteidigung der Moskauer Prozesse angehört; mit heftigem Ekel die Witze, die er über die Ermordung von Bucharin riß. Er gibt vor, diesen in Moskau gekannt zu haben; aber Bucharins Gewissen sei schon damals so schlecht gewesen, dass er ihm, Eisler, nicht in die treuen Augen habe blicken können“.(Adorno 1994, 328)
Dass Eisler den um fünf Jahre Jüngeren, dem er schon 1932 vorgeworfen hatte, er würde bei der reinen Interpretation der Wirklichkeit stehen bleiben, ohne nach Kräften der Veränderung zu suchen (Eisler 2007, 170), herablassend als unerfahrenen Idealisten über Politik belehrt hat, ist durchaus nachzuvollziehen. Auch, dass Adorno von seiner unpolitischen Position der Distanzierung Eislers Verteidigung der Moskauer Prozesse als nur „armselig“ dargestellt hat. Sie musste von der Sache her unglücklich daherkommen. Und wahrscheinlich zugleich provokant, vielleicht sogar ironisch, „witzig“ erkaufte, überlegene Unsicherheit[4].
Denn Adorno gegenüber hat Eisler eigene Zweifel sicher nicht äußern wollen. Das wäre herausgekommen, und er wäre von den Genossen als Abtrünniger auf die Seite der politischen Gegner geschoben worden.
Über ein Zusammentreffen mit Bucharin in Moskau gibt es, laut Auskunft von Wladislaw Hedeler am 3. Februar 2009 in den Akten keinerlei Belege.
Es ist aber nicht ausgeschlossen, denn Eisler hätte 1931, 1932 und 1935 Bucharin begegnen können, war dieser doch ein herausragender Publizist, Philosoph, Historiker, Autor von Texten über Goethe, Heine, nach seinem Ausgeschiedenwerden aus der aktiven Politik als Akademie-Mitglied, als Chefredakteur der Iswestija bis Januar 1937 vielseitig tätig, der deutschen Sprache mächtig, an Treffen mit ausländischen Intellektuellen interessiert[5].
Ein Eindruck von Vorsicht im Verhalten Bucharins konnte auch als „schlechtes Gewissen“ missgedeutet werden.

5. 6. Es sei hier nur darauf verwiesen, dass Brecht in dieser Zeit (1938) über seine Stellung zur Sowjetunion intensiv nachgedacht hat. Er hat einschlägige Zeitungsausschnitte gesammelt und mehrfach versucht, seine Meinung über die Stalinschen Säuberungsprozesse zu fixieren, intern. Er stimmte in seiner Grundhaltung mit Heinrich Mann, Feuchtwanger, Bloch und Eisler im wesentlichen überein: So lange die Diktatur noch der Entwicklung der Arbeiterklasse diene, müssen die Einschränkungen der Freiheit akzeptiert werden; man könne die Sowjetunion nicht von Stalin trennen; die Anti-Stalinisten erleichtern die Vorbereitung eines Krieges gegen die Sowjetunion (XXII/1, 297/98); die Prozesse haben das Bestehen einer Verschwörung gegen das Regime erwiesen; für erpresste Geständnisse gibt es an sich so wenig Beweise wie dagegen; physische Folter könne nicht angenommen werden; die Darstellung, dass Revolutionäre im Auftrag des Kapitalismus sich in die Regierung eingeschlichen hätten, um in Russland den Kapitalismus wieder einzuführen, sei „unwahrscheinlich“. (XXII/1, 365-68)

5.7. Nach der Beseitigung Bucharins war noch ein vierter Schauprozess geplant. Der wurde jedoch nicht realisiert. Mit dem Abschluss des Nichtangriffspaktes zwischen Hitler und Stalin im Frühjahr 1939 war das politische Selbstverständnis vieler exilierter Linksintellektueller auf eine weitere harte Probe gestellt. Einige Kommunisten brachen mit der Partei, etwa Arthur Koestler. Eisler und Brecht nicht.
In seinem 1940 erschienenen Roman Sonnenfinsternis gelang Koestler dennoch quasi modellhaft ein tiefgreifend-verallgemeinernder Rückblick auf die „Säuberungsprozesse“, in welchem er in einer psychologischen Analyse der wechselseitigen Verschränktheit von Ankläger und Angeklagtem, von Täter und Opfer jene Idee entfaltet, die Schwarzschild bereits 1936 formuliert hatte: „Zu deutlich haben diejenigen, die heute das Opfer sind, in anderen Läuften verkündet und bewiesen, dass sie individuelles Leben und individuelles Schicksal in der Waage der Politik nur gering bewerten, als dass es die Gemüter stark bewegen könnte, dass sie selber jetzt der gleiche Doktrin erliegen.“( Koestler 1999, Schwarzschild darin 383)
Seit dem Überfall der Hitler-Faschisen auf die Sowjetunion im Juni 1941 waren die Fronten geklärt, war prinzipielle Solidarität erst Recht geboten. Das kann hier aus Zeitgründen nicht kommentiert werden. Auch nicht die Tatsachen, dass Trotzki im August 1940 in Mexiko ermordet wurde, Arkadi Maslow im November 1941 unter mysteriösen Umständen in Havanna verstarb[6].

5.8. Nach dem vor allem durch die Rote Armee errungenen Sieg über Hitler-Deutschland, mit der nach sowjetischem Muster erfolgten Formierung sozialistisch orientierter Regimes in den osteuropäischen Ländern kannte der Kult um den genialen Stalin keine Grenzen mehr: er galt als der größte Feldherr aller Zeiten, der größte Philosoph, der bedeutendste Sprach-wissenschaftler usw. In diesen Jahren sind weltweit, auch in der DDR zahllose Lieder und Kantaten auf den großen Stalin verfasst worden. Es fällt auf, dass Hanns Eisler in seinem gesamten Schaffen und besonders in diesen Jahren der quasi hysterischen Stalin-Verehrung nicht eine einzige Komposition dieser Art „abgeliefert“ hat, sondern 1950 in den Neuen Deutschen Volksliedern einen Hymnus auf Lenin, der nicht als „Volkslied“ komponiert war Sie erinnern sich: „Er rührte an den Schlaf der Welt…“. Mit dem Hymnus auf die Partei, zu dem er sich 1950 in der Kantate Mitte des Jahrhunderts hat verführen lassen, war er zu Recht unzufrieden. Es gab wohl auch in dieser Zeit so etwas wie eine „doppelte Psychologie“, ein „unglückliches Bewusstsein“.[7]

5.8. Schließlich wurde das politische Selbstverständnis Eislers und vieler seiner Genossen Anfang der 50er Jahre erneut stark belastet durch die nun auch in den osteuropäischen „Volksdemokratien“ nach Stalinschem Vorbild inszenierten Schauprozesse: es gab sie seit 1949 in Bulgarien, in Ungarn, in Rumänien, in der Tschechoslowakei. Kostow, Rajk, Slansky waren die prominentesten Opfer. Nun war der jugoslawische „Revisionist“ Tito der Hauptfeind und jede Verbindung zu Noel-Field höchst gefährlich. (Hodos 1990)
Ehemalige West-Emigranten und daher missliebige Genossen wurden auch in der DDR suspendiert, darunter auch Gerhart Eisler (Friedmann 2007). Hier sei nur erwähnt, dass Slansky am 3. Dezember 1952 in Prag hingerichtet worden ist, mit ihm auch ein Freund Hanns Eislers: Otto Katz (Andrè Simone). In welchem Maße politische Ängste damals das Denken, die Wahrnehmung, das tägliche Leben bestimmten, ist für uns heutzutage überhaupt nicht vorstellbar. Jürgen Schebera wird ja dazu sprechen.

5.9. Die sogenannte „Geheimrede“ von Nikita Chrustschow auf dem XX. Parteitag der KPdSU(B) am 25. Februar 1956 war bekanntlich ein tiefer Einschnitt in der kommunistischen Weltbewegung. (Chrustschow 1990) Es wurde, wenigstens im Ansatz über ein Ausmaß von Verbrechen informiert, das auch für Eisler entsetzlich gewesen sein muss: über „Intoleranz, Brutalität, Machtmissbrauch“ (21), über „barbarische Foltern“ (25), „grausamen, unmenschliche Folterungen“ (33), über Massenrepressalien und physische Vernichtung. Die Moskauer Prozesse wurden nicht einmal erwähnt, aber nun wurde gewiss, dass die Geständnisse doch durch physischer Gewalt erpresst, dass die Prozesse raffiniert inszeniert worden waren und die Angeklagten aus Parteidisziplin sich geopfert haben. Fast all das, was die Feinde der Sowjetunion in der Mitte der dreißiger Jahre gegen das „Vaterland der Werktätigen“ angeführt hatten und was damals abgewehrt und verdrängt werden musste, erwies sich nun als zutreffend. Auch durch schmerzliche persönliche Erfahrungen bestätigt: Nicht nur war nun endgültig klar, was mit Ernst Ottwaldt, Sergej Tretjakow, Michael Kolzow, Maria Osten, Carola Neher geschehen war. Mehr noch: Hedi Gutmann, um 1930 Lebensgefährtin von Eisler, 1932 mit ihm nach Moskau gegangen und dort geblieben, kam 1957 nach 18 Jahren Gulag in die DDR zurück und wohnte anfangs bei ihm in der Pfeilstraße.
All das war für Eisler (und Brecht) kein Grund, nun endlich mit der Sowjetunion und dem Kommunismus zu brechen. Im Gegenteil: Jetzt schien eine selbstkritische und reinigende Erneuerung möglich. Musikalische Konsequenzen dessen waren: Komposition und Uraufführung der Kantate Die Teppichweber von Kujan Bulak im Juni 1958 bzw. am 17. Februar 1958 die längst überfällige Berliner Uraufführung des Lenin-Requiems am 22. November 1958. Mit beiden Ereignissen ist bewusst auf die politische Situation reagiert worden: in der Auseinandersetzung mit dem Stalinkult sich auf Lenin zu besinnen und „Autoritäten mit freundlichem Wohl wollen zu begrüßen“, die zu überwindenden Erscheinungen von Personenkult bei der Wiederbesinnung auf Lenin nun nicht einfach weiter zu praktizieren. Es ist sicher auch kein Zufall, dass in dieser politisierten Atmosphäre der Hoffnung Lieder wie Linker Marsch auf einen Text von Majakowski oder etwa die Bühnenmusik zu Schwitzbad (1959) entstand. Und: 1958 veröffentlichte Eisler in drei Folgen der Zeitschrift Sinn und Form seine Reflexionen „Über die Dummheit in der Musik“, wo er sich gegen den „verlogenen Optimismus“ wendet. (Eisler 1958, 3. 444)
Erst Anfang 1956 durfte Gerhart Eisler im Staatlichen Rundfunkkomitee der DDR wieder eine offizielle politische Funktion übernehmen. Formal rehabilitiert wurde er nicht. (Friedmann 2007) Auch Ruth Fischer wurde durch die Enthüllungen des XX. Parteitags inspiriert. Sie hoffte auf Die Umformung der Sowjetgesellschaft. Sie veröffentlichte unter diesem Titel Texte, die als Chronik der Reformen 1953-1958 im Laufe des Jahres 1958 in den Frankfurter Heften erschienen waren. Hanns und Gerhart trafen sich, beide jedoch Ruth, die bis zu ihrem Tod 1961 in Paris lebte, nicht.

5.10. Vom 17.-31. Oktober 1961 fand in Moskau der XXII. Parteitag der KPdSU statt. War schon auf dem XXI. Parteitag (27.1.-5.2. 1959) eingeschätzt worden, dass der Sozialismus in der UdSSR den vollständigen und endgültigen Sieg errungen habe und die am weitesten entwickelten kapitalistischen Länder in der Pro-Kopf-Produktion einzuholen und zu überholen seien, so beschloss der XXII. den Aufbau des Kommunismus: „die Berechnungen ergeben, dass wir in 20 Jahren die kommunistische Gesellschaft im wesentlichen aufgebaut haben werden“ (Chrustschow 1961, 187). Wir wissen inzwischen, dass die Sowjetunion und die KPdSU 30 Jahre später am Ende waren. Ich erinnere mich, dass wir damals am Institut für Philosophie der Humboldt-Universität die Losung „Überholen – ohne einzuholen“, skeptisch und spöttisch umgewendet haben in: „Übergehen – ohne einzugehen“ oder „Überstürzen – ohne einzustürzen“. Genau das Letztere ist eingetreten.
Es ist angesichts eines solchen, damals verbreiteten Reagierens kaum vorstellbar, dass Eisler das parteioffizielle, realitätsferne Wunschdenken der KPdSU für sich hat akzeptieren können.
Auf dem Parteitag war von den Moskauer Prozessen und den Terrorwellen nicht mehr die Rede, nur noch davon, den Personenkult um Stalin zu überwinden und die Leninschen Normen wieder einzuführen. Und es wurde die große kommunistische Perspektive verheißen.

6. Hanns Eisler hat auf dieses politische Großereignis verbal und musikalisch reagiert. Er komponierte 1961/62 Ernste Gesänge, an denen er bis zum 12. Juni 1962 arbeitete. Sie sind, wie wir wissen, seine letzte Arbeit. Darin steht bekanntlich der 5. Gesang, dem Eisler die Überschrift „XX. Parteitag“ gab. Es sei hier ausdrücklich darauf hingewiesen, dass er meines Wissens der einzige Komponist der DDR ist, der den Mut hatte, dieses Ereignis kompositorisch zu thematisieren. Den dafür verwendeten Text von Helmut Richter „Erwartung. Eine Frau zum XXII. Parteitag“ hat er verändert, ins politisch Allgemeine gewendet, aus „Lieben ohne Angst zu haben“ für sich „Leben ohne Angst zu haben“ gemacht und „XX. Parteitag“ überschrieben. Nun hat der Sänger zu referieren: „Ich halte dich in meinem Arm umfangen. Wie ein Saatkorn ist die Hoffnung aufgegangen. Wird sich nun der Traum erfüllen derer, die ihr Leben gaben für das kaum erträumte Glück. Leben ohne Angst zu haben, Leben ohne Angst zu haben“. Mit dieser Überschrift zielt Eisler nicht so sehr auf die Kommunismus-Perspektive, sondern eher auf Vergangenheitsbewältigung, ohne die es keine Zukunft gibt. Daher ist ihm wesentlich, die „Dinge zu benennen, die wir jetzt schwer durcherlebt haben“ (Eisler 1975, 262). Er komme mit den Hölderlin-Zeilen „an den wirklichen, echten Nervenpunkt unserer heutigen Lage, die ja großartig ist, weil wir mit dieser finsteren Vergangenheit, d.h. dem Stalin-Kult energisch aufräumen“. (228) Daher seine Entscheidung für den Text von Leopardi „Verzweiflung“ (262) und für den von Bertolt Viertel: „Du solltest Dich über die Gründe fragen der Traurigkeit, du Mensch der besseren Zeiten. Die meine wird Dir die Geschichte sagen, die Jahresdaten meiner Traurigkeiten“. Eisler dazu gegenüber Bunge: „Viertel hat das Gedicht, glaube ich, geschrieben 1936. Er meint die Jahresdaten der Hitlerdiktatur. Nun, ich habe es komponiert – und jetzt mag sich jeder die Jahresdaten aussuchen, über die er traurig sein will“ (263)
Eisler betonte, dass die Texte in „keiner Weise mit der konkreten politischen Lage identifiziert“ werden sollten (227). Diese könne aber – wie bei jedem riesigen Unternehmen – auch gewisse Bitterkeit nicht ausschließen: „Denn so große Sachen kann man nicht aufbauen, ohne dass es nicht auch Schweiß und Bitterkeit kostet. „ (227) Als Bunge darin dennoch eine Antwort auf den XXII. Parteitag empfindet, sagt Eisler: „Das ist ja großartig. Da ist nun alles drin: die schlechte Laune, die Lage, der XXII. Parteitag und das allgemeine Verhalten eines ehrlichen Kommunisten. Deswegen ist der Satz so großartig“. (227/28)
Im Kontext der von Chrustschow auf dem XXII. Parteitag verkündeten Kommunismus-Verheißungen lassen die musikalischen Formulierungen im Epilog der Ernsten Gesänge eine wahrscheinlich ernüchternde Interpretation zu. Erinnern wir uns: Wir hören die dreifache Wiederholung der Gewissheit des künftigen Glückes (gewiss, gewiss, gewiss), dann die daran anschließende melodisch-harmonische Idylle, die Eisler aus der Musik zu einer Liebesszene aus einer seiner Hollywood-Filmmusiken übernommen hat. Diese wird mit einem abrupten Pizzicato-Schluss-Ton beendet, der zur ungetrübten Schönheit quersteht [8].
Ich hatte bisher die dreifache Wiederholung der Gewissheit, angeregt durch Eduard Steuermanns, von Adorno berichteten Hinweis auf Beethovens mehrfache Wiederholung des Credo in der Missa Solemnis als nur ästhetisch geäußerte Unsicherheit im Hinblick auf die Überzeugung vom künftigen Glück, d.h. von der kommunistischen Perspektive gedeutet: „durch mehrmalige Anrufung sich selbst und den andern beteuern, er glaube auch wirklich“. (Adorno 1964, 179). Ich revidiere das: Ich habe das Nachspiel und das schließende Pizzicato unterschätzt.
Im historischen Kontext der von der KPdSU verkündeten, schon damals von vielen als unrealistisch beurteilten Perspektive dieses Partei-Kommunismus ergibt die Hollywood-Idylle des instrumentalen Nachspiels, durch das Pizzicato gestoppt, einen kritisch-ironischen, quasi realistischen Befund: Hinter dem schönen Schein und der ernüchternden Schlußnote steckt in der ästhetischen Gestalt ein Stück nachvollziehbaren Zweifels.
Ich revidiere die aufs Allgemeine bezogene Interpretation der instrumentalen Schlusspassage auch aus dem Grunde, da es sich für Eisler bei der Frage nach dem künftigen Glück nicht um ein „Credo“, um eine Sache des Glaubens handelt, sondern um eine Überzeugung von der historischen Notwendigkeit einer gesellschaftlichen Alternative zum Kapitalismus, die nur bei einem hohen Niveau des gesellschaftlichen Stoffwechsels zudem nur in vielfältigen, widersprüchlichen politischen Auseinandersetzungen zu erreichen ist. In den Ernsten Gesängen geht es aber nicht um Allgemeines, um die „dritte Sache“ überhaupt, sondern um die besondere Beschlusslage der KPdSU. Und da war der kritische Kommentar zum XXII. Parteitag berechtigt.
Eisler war sich wohl schon 1958 schon darüber im Klaren. Gegenüber Bunge erläuterte er, warum er Brechts Lob des Kommunismus umbenannt hat in Lob des Sozialismus. Seine Begründung: „Von Kommunismus kann man erst reden bei einer Surplus-Ökonomie, […] wo es einen Überfluss an Waren gibt, […] wo das Problem der Distribution absolut keine Rolle mehr spielt“. (Eisler 1975, 13) „Mangelwirtschaft“, „Engpässe“ seien eine Sache der Phase des Sozialismus. Er betont, dass „schon die Phase des Übergangs vom Sozialismus zum Kommunismus sehr differenziert sein wird und deutlich die Züge von Perioden tragen wird“. Er sage das nur „aus reiner Pedanterie“. (13)
Gegenüber Bunge denkt Eisler am 5. Juli 1962 in sehr weiträumigen Perspektiven. Im Hinblick auf eine „neuerliche Umfunktionierung der Kunst“ verweist er auf Hegel: „Wenn das Sein vollkommen ist – nehmen wir konkret das kommunistische Sein – brauchen wir den schönen Schein nicht mehr in dieser [tradierten] Weise“. (238) Kunst werde, „was sie heute nur in den niedrigsten Formen ist: Spaß, Vergnügen und Zerstreuung“. (238) Damit stelle er seine und Brechts sämtliche Positionen in Frage. „Wenn wir theoretisch nicht stehen bleiben sollen, müssen wir die Courage haben, sämtliche unserer Positionen zu bezweifeln durch die Einsicht in die Dialektik der Geschichte, und uns vorbereiten, in einer neuen Zukunft uns selber zu liquidieren. Ein schmerzhafter, aber nützlicher Prozess“. (238/39) Er müsse bei der Planung neuer Kunsttheorien „die nächsten hundert Jahre voraussehen.“ (239) Hier nun kommt nach der Planung neuer Kunsttheorien ein plötzlicher Querbezug auf die aktuelle Politik: „Wir planen ja den Kommunismus bis 1980, wie Genosse Chrustschow gesagt hat.“ (239) Da werden für die Periode des Übergangs vom Sozialismus zum Kommunismus Phasen des Übergangs nicht mehr angenommen. Dass ein solcher Gesellschaftszustand, ausgehend von der Mangelwirtschaft Anfang der sechziger Jahre von 1961 bis 1980, also in nicht einmal 20 Jahren erreicht werden soll, war damals – wie bereits gesagt – für nüchtern Denkende so gut wie ausgeschlossen. Der müsste ja dann auch neue Kunsttheorien ermöglichen, die Eisler erst in den nächsten hundert Jahren für denkbar gehalten hat. Über diesen Widerspruch hat er sich verbal nicht geäußert: Er kann auf Grund der bis Anfang der 60er Jahre angesammelten Erfahrung einen so kurzfristigen Übergang zum Kommunismus nicht ernsthaft für möglich gehalten haben. Dieser Zweifel hat ihm wohl beim Komponieren des Epilogs die Hand geführt.

7. Seit dem XX. Parteitag hatte der Prozess der schrittweisen, selbstkritischen Aufarbeitung der finsteren Vergangenheit des Stalinismus begonnen. Nicht ohne den Widerstand der bisherigen Akteure. Wie schwierig diese Reinigung durch die bürokratischen Instanzen sich vollzog, wird z. B. daran deutlich, das Bucharin erst im Frühjahr 1988 posthum rehabilitiert worden ist[9].

8. Für die kritische Auseinandersetzung mit den Ursachen, Funktionen, Formen und Wirkungen dessen, was „Stalinismus“ genannt und nach wie vor umstritten ist, sind mit dem Staatsbankrott der DDR und der Selbstauflösung der KPdSU und der UdSSR 1989/90, bzw. 1992 neue Bedingungen entstanden. Die bisher verschlossenen Archive wurden allmählich zugänglich. Inzwischen sind viele zeitgenössische Texte wieder aufgelegt und kommentiert worden: Schriften von Trotzki, Bucharin (so die während der einjährigen Haft von 1937-1938 in der „Lubljanka“ entstandenen). Es sind zahllose wissenschaftliche Arbeiten erschienen. Hier sei nur verwiesen auf die Arbeiten von Wladislaw Hedeler 1993; 1998; 2003; und den 2008 herausgekommenen Band von Karl Schlögel.

9. Es gibt nun seit Jahren nicht wenige Leute, die meinen, dass mit dem Staatsbankrott der DDR 1989/90 und der Selbstauflösung der UdSSR, mit beider Übergang zur Restauration des ungehemmten Kapitalismus, der ja auch in den anderen osteuropäischen Ländern des „realen Sozialismus“ stattgefunden hat, Marx widerlegt sei – und damit auch prinzipiell das auf Marx fundierte politische Selbstverständnis Hanns Eislers. Gegen Kapitulanten dieser Art antwortete Heiner Müller 1990: „Zuende ist der Versuch, Marx zu widerlegen. Bei Marx gibt es den einfachen Satz: Der Versuch, Sozialismus oder eine sozialistische Struktur auf der Basis einer Mangelwirtschaft aufzubauen, endet in der alten Scheiße. Das ist es, was wir jetzt erleben“.[10] (Müller 1990)
Dass dieser Versuch im 20. Jahrhundert im rückständigen, noch halbfeudalen Russland dennoch versucht worden ist, hat sich in der konkreten Situation, in welcher die Bolschewiki politisch gesiegt hatten, zwangsläufig ergeben und die verschiedenen Formen gewalttätiger Umwälzungen zur Folge gehabt, mit denen die Marxisten dieser Zeit konfrontiert worden sind. Lenin war 1917 noch der Überzeugung, dass die Revolution in Russland ohne die revolutionäre Erhebung des westeuropäischen Proletariats in den entwickelten kapitalistischen Ländern keine Chance haben werde. Diese Revolution blieb aus. Und der dann durchgesetzte „Aufbau des Sozialismus in einem Lande“, noch dazu in einem so zurückgebliebenen, war eben dieser zwanghafte Versuch, aus der Mangelwirtschaft, aus der dazu kommenden antikommunistischen Umklammerung (Interventionskriege, II. Weltkrieg, Kalter Krieg) herauszukommen und schließlich noch kommunistische Verhältnisse in Aussicht zu stellen. In dieser Gemengelage von politischen, sozialen, kulturellen Widersprüchen liegt der tiefere Grund dafür, dass der Versuch, an Marx vorbei zu kommen in so vielen tragischen, opferreichen Konflikt-Feldern verlaufen ist, dass dieser Versuch, mit einem bürokratisierten, autoritären Machtapparat, mit einem nicht reformierbaren befehlsadministrativen System den historisch notwendige Qualitätssprung der Produktivität zu erreichen, trotz selbstlosen, aufopfernden Einsatzes sehr vieler Menschen und vieler Teilerfolge schließlich scheitern musste.
Marx bleibt aktuell, solange die realen Widersprüche des nun fast weltweit herrschenden Kapitalismus weiter bestehen und sich, wie wir erleben, noch weiter zuspitzen.
Nach einer kurzen Phase der Lähmung ist das von Marx inspirierte, geschichtsmaterialistische, kritische und zugleich selbstkritische Denken wieder weltweit in Bewegung gekommen.[11]
Es gibt inzwischen vielfältige Analysen der gegenwärtigen Widerspruchsbewegung der kapitalistischen Gesellschaften und die Erkundung alternativer Formen ihrer Transformation in menschenwürdige Gemeinwesen, die der bisher utopischen Programmatik des Sozialismus/Kommunismus nahe kommen.
In Südamerika gibt es Ansätze, einen „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ nicht nur zu denken, sondern politisch praktisch auszuprobieren. In der neuen Großmacht China herrscht immer noch eine Kommunistische Partei. Auch Kuba ist noch nicht am Ende.
Angesichts der gegenwärtigen Finanz- und Wirtschaftskrise wird zunehmend darüber reflektiert, ob nun vielleicht der Kapitalismus auch „am Ende“ ist [12].
Eines dürfte klar sein: Bei all den neuen Alternativ-Versuchen werden wieder Fehler theoretisch wie praktisch nicht zu vermeiden sein. Erinnern wir uns an Eislers kleinen Chorsatz/Kanon für Schulkinder aus dem Jahre 1935/36: Lenin-Zitat: „Klug ist nicht, wer keine Fehler macht, sondern der sie schnell zu verbessern versteht.“
Sich aber in einer solchen höchstkomplizierten Gemengelage überhaupt von der Politik abzuwenden, sich unpolitisch zu verhalten, war für Eisler und ist wohl auch für die gegenwärtigen Eislerianer inakzeptabel.
Ich habe meinen Vortrag mit einem Zitat eingeleitet. Er sei mit einem anderen beendet. Eisler äußerte sich 1958 über politisches Bewusstsein im Kontext seiner Überlegungen zur „Dummheit in der Musik“, ich zitiere:<
„Abwesenheit von, Uninteressiertheit an und Abscheu vor der Politik [ist]auch ein politisches Verhalten. Und das ist Verfall“. ( SuF, Heft 5/6 1958, 763)

Nachtrag

Eisler war im Sommer 1937 in Valley Cottage bei New York Gast bei Dr. Joachim Schuhmacher. Dort traf er auch Ernst Bloch wieder, der mit dem Philosophen seit der Studienzeit befreundet war. Dieser war 1932 in die Schweiz emigriert, lebte dann illegal in Frankreich. Dort schrieb er das Buch Die Angst vor dem Chaos. Über die falsche Apokalypse des Bürgertums. Seit 1937 lehrte er in Valley Cottage Kunstgeschichte und Philosophie.
Er war, wie Bloch und Eisler, Antifaschist, marxistisch gebildeter Kommunist, unterschied die „Anmaßungen des offiziellen Marxismus“ von dem „was Marx wirklich erforscht und erfordert hat“. Und er bekannte sich zu dem „in vielem gehemmten Sozialismus der Russen“, nicht zuletzt „weil die Nazis drauf und dran sind, diesen zu zerstören und damit die eigene Nation zu ruinieren“.(16) Und er distanzierte sich vom Stalinismus (20). In seinem Nachwort zum Vorwort von 1936 – Woodbury, Conn. USA 1972 formuliert er eine Einschätzung Stalins und des Stalinismus, die Eislers politischem Selbstverständnis durchaus entsprach und die von den „jüngeren Geistern“ aufbewahrt werden sollte:
„Er, der nicht nur von parteifrommen Kommunisten, sondern auch vom russischen Volk kraft auch echter Lenkung während des Krieges zur göttlichen Allmacht erhoben wurde, konnte sich dann die schreckliche Ruhe kalten Befehlens leisten, die oberhalb jeden Einwandes thront. […] Ihm und den massenhaft Seinen unter den Apparatschiks gelang wirklich, was keine kapitalistische und faschistische Propaganda zu erreichen vermochte – der volkstümlichen Vorstellung dessen, was Kommunismus sei und erstrebe, zum ehemaligen Ludergeruch zusätzlich den Abscheu vor Inquisition und Kadavergehorsam zu geben. Daran laboriert seither jegliche Linksaufklärung, und nur als echte Heräsie gegen alle Arten eines dogmatisierten Marxismus (Marx selber:’Je ne suis pas marxiste’) ist hier theoretisch und praktisch vorwärtszukommen.
Dem gelte zumal das gute Ungestüm jüngerer Geister, in seiner Art auch, was in diesem Buch noch unveraltet“. (Schuhmacher 1974, 30)

Bibliographie

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Fußnoten

[1] Brecht notierte 1937/38: „Ohne die Unterdrückung jener Bauernmassen, welche den Aufbau einer mächtigen Industrie in Russland nicht unterstützen wollen, kann nicht ein Zustand eintreten, d.h. geschaffen werden, in dem Diktaturen überflüssig sind. Den Bauernmassen kann nur durch eine mächtige Industrie geholfen werden. Sie müssen die Landwirtschaft selbst in eine Industrie umwälzen. Das ist eine gewalttätige Sache“. (Brecht/1, 301)

[2] Werde der Faschismus in Spanien und Frankreich triumphieren, so würde die Niederschlagung des europäischen Proletariats auch unvermeidlich den Zusammenbruch der UdSSR bedeuten. Oder: „wenn die werktätigen Massen Spaniens mit dem Faschismus fertig werden, wenn die französische Arbeiterklasse den Weg der Befreiung beschreiten wird, dann werden auch die unterdrückten Massen der UdSSR sich aufrichten. […] Dann wird die letzte Stunde des Stalinschen Despotismus geschlagen haben.“ (Trotzki 1937,139) Die Geschichte ist so nicht verlaufen.

[3] Brecht nannte diejenigen, gegen die Eisler und Bloch polemisierten, die >Moskauer Clique< (XXVI, 316): Damit meint er insbesondere Georg Lukács, Alfred Kurella, Johannes R. Becher, Fritz Erpenbeck. Benjamin berichtet in den Tagebuchnotizen 1938 : „Sie wollen den Apparatschik spielen und die Kontrolle der anderen haben. Jede ihrer Kritiken enthält eine Drohung.“ (Benjamin 1991, 537)
Die beiden Aufsätze sind „Avantgarde-Kunst und Volksfront“ und „Die Kunst zu erben“, veröffentlicht in Die neue Weltbühne im Dezember 1937, bzw. im Januar 1938 (HEGA III,1, 397-403; bzw. 406-411)

[4] Brecht skizzierte im Juni 1938 in Bezug auf die bloß psychologische Sicht auf die Frage nach der Wahrscheinlichkeit oder Unwahrscheinlichkeit der Geständnisse eine Karikatur: „Die Leute reagieren so: wenn ich höre, daß der Papst verhaftet wurde wegen Diebstahls einer Wurst und Albert Einstein wegen Ermordung seiner Schwiegermutter und Erfindung der Relativitätstheorie, dann erwarte ich, dass die beiden Herren das leugnen. Gestehen sie diese Vergehen, dann nehme ich an, sie wurden gefoltert. Ich meine keineswegs, dass die Anklage so oder ähnlich ist wie meine Karikatur, aber für hier wirkt sie so. Was wir zu tun haben ist, sie begreiflich zu machen. Wenn die in den Prozessen angeklagten Politiker zu gemeinen Verbrechern herabgesunken sind, so muß für Westeuropa diese Karriere als eine politische erklärt werden…“. (Brecht XXII/1, 367) Vielleicht hat Eisler in ähnlicher Weise argumentiert.
Aus der „armseligen Verteidigung der Moskauer Prozesse“ zu folgern, Eisler sei „ein orthodoxer Anhänger des Sowjetmarxismus“ übersieht, dass dessen politisches Selbstverständnis so einseitig nicht war. (Müller-Doohm 2003, 479)

[5] Hedeler notiert: „Ausländer, die damals in Moskau weilten, wie z. B. G. Lukács, berichteten über Bucharins Versuche, Mitte der dreißiger Jahre mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Kontakte mit Ausländern zu pflegen, war nicht üblich“ – und zudem gefährlich. (Hedeler 1993, 118)

[6] Ruth war davon überzeugt, dass er im Auftrag der NKWD ermordet wurde. Sie arbeitete seit 1942 in New York zur Geschichte des Kommunismus und gab 1944/45 einen anti-stalinistischen Informationsdienst heraus.

[7] Es gibt von Eisler aus der Zeit vor 1945 lediglich zwei Lieder nach Sätzen von Stalin, in der Textfassung von Brecht: 1. Hammer und Sichel, 1934/35, in welchem Brecht aus der Rede Stalins auf dem XVII. Parteitag der KPdSU (B) am 26. Januar 1934 poetisierend zitiert: „Und die werden sich sehr wundern über uns, wenn wir entdecken, dass sie ihre Schweineschnauzen in unsern Sowjetgarten stecken“.; 2. In Sturmesnacht, 1943, in poetisierendem Bezug auf den Befehl Nr. 55 vom 23. Februar 1942 an die Rote Armee: „Die Hitler kommen und gehen, das deutsche Volk bestehet“. Personenkult ist etwas anderes.
Eisler hatte sich dem hymnisch-gläubigen Gestus der Becher’schen Texte überlassen. Die Anpassung an das musikalische Niveau der Delegierten des III. Parteitages der SED war vergebens. Becher notierte in seinem Tagebuch: „[…] habe nach wie vor das Gefühl, Eisler hat die wirklich volkstümlichen Melodien mit einem Anflug von mindestens schlechtem Gewissen geschrieben“. Und ferner: „Abendgespräch mit Eisler, ziemlich unergiebig, um die Sache herumredend, Tendenz zu weiterer beiderseitiger Zusammenarbeit lustlos“. (Becher 1950, 450/469)

[8] Eisler griff hier auf die Musik zu einer Liebes-Szene zurück, die 1944 in Hollywood zu dem Spielfilm Not But the Lonely Heart entstanden war.

[9] „Als der Prozeß gegen Bucharin stattfand, saß seine Ehefrau, Anna Larina Bucharina in Tomsk im Lager für Frauen von Vaterlandsverrätern […] Nach 18 Jahren kam sie frei. Sofort begann sie die Rehabilitierung ihres Mannes vorzubereiten. Doch dieser Kampf war erst im Jahr seines 100. Geburtstages und 50. Todestages zu Ende.“ (Hedeler 1993, 133).

[10] Müller bezieht sich auf eine Stelle in der Deutschen Ideologie: „…ist diese Entwicklung der Produktivkräfte […] auch deswegen eine absolut notwendige praktische Voraussetzung, weil ohne sie nur der Mangel verallgemeinert, also mit der Nothdurft auch der Streit um das Notwendige wieder beginnen und die ganze alte Scheiße sich herstellen müßte, weil ferner nur mit dieser universellen Entwicklung der Produktivkräfte ein universeller Verkehr der Menschen gesetzt ist“. (Marx/Engels 1845/46, MEW 3, 34/35).
Marx schreibt in Grundrisse zur Kritik der Politischen Ökonomie 1857/58: „…innerhalb der bürgerlichen, auf dem Tauschwert beruhenden Gesellschaft, erzeugen sich sowohl Verkehrs- als Produktionsverhältnisse, die ebenso viel Minen sind, um sie zu sprengen. (Eine Masse gegensätzlicher Formen der gesellschaftlichen Einheit, deren gegensätzlicher Charakter jedoch nie durch stille Metamorphose zu sprengen ist. Andrerseits, wenn wir nicht in der Gesellschaft, wie sie ist, die materiellen Produktionsbedingungen und ihnen entsprechende Verkehrsverhältnisse für eine klassenlose Gesellschaft verhüllt vorfinden, wären alle Sprengversuche Donquichoterie).“ (Marx 1857/58, 1953, 77/ oder MEW 42, 93)

[11] Inzwischen gibt es national und international eine sich ausweitende, marxistisch orientierte Strömung zur Analyse der Grundkategorien der Marx’schen Denkbewegung und ihrer Rezeption im 20. Jahrhundert. Ich verweise nur auf das internationale Projekt Historisch-kritisches Wörterbuch des Marxismus, das seit 1994 erscheint, an welchem ca. 800 Wissenschaftler verschiedenster Disziplinen mitarbeiten. Bisher sind seit 1994 insgesamt 7 umfangreiche Bände erschienen: Bd. 1 (Abbau des Staates bis Avantgarde), Hamburg 1994; Bd. 2 (Bank bis Dummheit in der Musik), Hamburg 1995; Bd. 3 (Ebene bis Extremismus), Hamburg 1997; Bd. 4 (Fabel bis Gegenmacht), Hamburg 1999; Bd. 5 (Gegenöffentlichkeit bis Hegemonialapparat), Hamburg 2001);Bd. 6/I (Hegemonie bis Imperialismus), Hamburg Mai 2004; Bd. 6/II (Imperium bis Justiz) Hamburg Dezember 2004; Bd. 7/I (Kaderpartei bis Klonen), Hamburg 2008.
In der Musikwissenschaft ist die geschichtliche Entwicklung marxistisch orientierter Ansätze in einer internationale Fachtagung der Universität Oldenburg 1999 bilanziert und im Konzept einer „kritischen Musikwissenschaft“ programmatisch aktualisiert worden. (Stroh/Mayer 2000; Heister 2000).

[12] Vom 6.-8. März findet in Berlin ein Attac-Kongress zum Thema „Kapitalismus am Ende?“ statt. Dieser thematisiert die systemischen Ursachen der Krise und die gemeinsame Suche nach Alternativen. Die Themenbereiche: Ende des Finanzkapitalismus – Ursachen und Alternativen; Kapitalismus und Ökologie; Ungleichheit und soziale Recht; Kultur und Medien; Demokratie im globalen Kapitalismus und Politische Ökonomie von Krieg und Frieden.